Schrei doch …

Es gibt Situationen, in denen würden wir es gerne tun: Schreien, stampfen, hauen oder weglaufen. Doch am Ende siegen der Konjunktiv und unsere Sozialisierung. Denn wir haben gelernt, Stress auszuhalten. Und ein stressfreier Job macht sich immer noch verdächtig, nicht wichtig genug zu sein und zu wenig Verantwortung abzuverlangen. Wer nicht klagt, arbeitet nicht hart genug oder hat es eben doch besser als die anderen. Weil nach der Bürozeit keine Kuscheltiere gesucht, kein Kühlschrank gefüllt und kein Hund ausgeführt werden muss. Doch wohin mit den angesammelten Stressenergien? Wie können sie aus dem Körper wieder abgeleitet werden, ohne vorher Schaden anzurichten? Der Faktor Freizeit spielt in diesem Kontext häufig nur eine Nebenrolle. Viel wichtiger ist es, in dem Moment, in dem Stress entsteht, richtig damit umzugehen. Wer das kann, besitzt Stresskompetenz. Und diese kann jeder erlernen.
Nichts ist ärgerlicher als ein Stau ohne verständlichen Anlass. Irgendwo im dichten Verkehr bevorzugt ein ängstlicher Autofahrer konsequent das Bremspedal und löst damit eine Kettenreaktion aus, die sich sogar mathematisch berechnen lässt. Die Zeitplanung gerät unter Druck und der Mensch in eine Stresssituation, die er spontan nicht verlassen kann. Nach einer sehr langen Wartezeit in einer Menschenschlange vor der Kasse hat der Kunde vor uns entschieden, genau in diesem Moment das Problem „Kleingeld“ in seinem Portemonnaie zu lösen und das, obwohl die verfügbare Zeit für den Einkauf schon seit einer halben Stunde aufgebraucht ist. Seit mehr als zehn Minuten erklärt der Kollege, dessen Wissensvorsprung wir nicht vertrauen, warum die Vorschläge zur Verbesserung der Marktsituation nicht funktionieren. Am Ende des gemeinsamen Termins wissen alle Anwesenden sehr genau, warum die Dinge nicht funktionieren und keiner, was denn nun zur Verbesserung der Situation passieren soll. Schon nach zehn Minuten hätten Sie diesen Termin gerne schreiend verlassen und haben es selbstverständlich nicht getan. Was bleibt ist eine subjektiv wahrgenommene Stresssituation, auf die der Körper reagiert: flache Atmung, beschleunigter Puls, erhöhte Körpertemperatur und ein bedrohliches Gefühl von Enge haben sich eventuell breit gemacht.
Der natürliche, gesunde Reflex besteht darin, wegzulaufen oder zu explodieren. Der Stress im Körper würde sich gerne in etwas Sichtbares verwandeln und darf nicht. Wohin also damit? Verdrängen, unterdrücken und aushalten. Das sind die erwarteten erwachsenen Verhaltensmuster. Je besser ein Mensch diese beherrscht umso professioneller und erfahrener wird er reflektiert. In vielen Fällen ist dies jedoch eine Fehleinschätzung und diese Art des Umgangs mit äußeren Stressfaktoren, auf die wir keinen Einfluss haben, hat zweierlei Auswirkungen: Dauerhaft stellt sie eine große Belastung für Körper und Psyche dar und führt nicht selten zu dem Phänomen „burn out“. Darüber hinaus beeinflusst sie negativ eine Kommunikationssituation und blockiert ein effizientes und zielführendes Miteinander. Das wahre Interesse des zwischenmenschlichen Kontakts, ganz gleich ob privater oder beruflicher Natur, wird von den Anstrengungen des „Stress Aushaltens“ überlagert. Eine „freie“ ehrliche Kommunikation findet nicht mehr statt. Immer dann, wenn es gelingt, äußere Ruhe und Gelassenheit aus einer echten inneren Haltung heraus herzustellen, ist dies der erste Schritt in Richtung optimaler „Bodywork Balance“.
Ein viel zitiertes Bild im Zusammenhang mit der Entstehung von Stressenergien ist die Begegnung in der Weite Afrikas mit einem Löwen. Im Angesicht einer solchen Gefahr erhöht sich die Muskelspannung, der Herzschlag beschleunigt, die Durchblutung wird aktiviert. Der Körper verwandelt die äußeren Stressimpulse in hilfreiche Zusatzenergien. Sie versetzten uns in die Lage, entweder zu kämpfen oder zu fliehen. Bei beiden Reaktionen verbrauchen sich die bereitgestellten Energien auf natürliche Art und Weise. Und sobald wir der Gefahr entkommen sind, erreicht auch unser Energiesystem wieder seinen Normalzustand. Die Stresssituationen, denen wir täglich begegnen, sind deutlich subtiler, unberechenbarer und weder durch Flucht noch durch Kampf zu beenden. Die entstandenen Stressenergien finden kein brauchbares Ventil und bleiben im Körper. Es sei denn, wir haben gelernt mit ihnen umzugehen und sie wieder sanft abzuleiten. Diese Form von Stresskompetenz fängt beim Atmen an. In vielen Situationen, in denen Wut, Ohnmacht und Angst Stressimpulse senden, hilft schon eine bewusste und tiefe Bauchatmung. Muskelspannung und Sauerstoffmangel, ausgelöst durch eine zu flache Atmung, verändern sich sofort spürbar positiv. Gesichtszüge und Körperhaltung entspannen sich und beeinflussen die gesamte Situation. Ein systemisches Körpertraining nimmt Temperament und Persönlichkeit des Menschen bewusst wahr und arbeitet damit. Es geht nicht darum, einen temperamtvollen Charakter in einen ruhigen zu verwandeln und umgekehrt. Jeder Mensch besitzt ein individuelles inneres Kraftfeld, das gestärkt und situationsgerecht wirksam werden kann. Hierzu sind eine kontinuierliche Körperarbeit sowie das Erlernen von zielführenden Übungen notwendig. Überflüssige Stressenergien können im Augenblick ihrer Entstehung schon mit Hilfe einfacher Maßnahmen aus dem Körper abgeleitet werden. Jedes Büro verfügt über die kleinen Hilfsmittel, die ausreichen, um kurze Trainingspausen einzuschieben und eine optimale „Bodywork Balance“ herzustellen.
Jedes Training beginnt mit dem bewussten Wahrnehmen des eigenen Körpers, hilft zu verstehen, welche Signale er sendet und endet mit dem richtigen Umgang von Stressimpulsen. Und dies alles kann in Gruppen- oder Einzelsitzungen passieren.
Kontakt: t.kolczewski@kommunikation-bodywork.de
Der Autor, Thomas Kolczewski, ist Berufstänzer und Choreograph und weiß als erfahrener Shiatsu Praktiker um die Verbindung zwischen körperlichem Wohlbefinden und Energiefluss. Seine Arbeit als Entspannungstrainer zeichnet sich dadurch aus, dass er auch in Seminarsituationen jeden Teilnehmer in seiner gesamten Persönlichkeitsstruktur wahrnimmt und ein individuelles Trainingsprogramm anbietet.